Gastbeitrag

von Thomas Schwind, Münster.

Liebe Kolleginnen und Kollegen und Freunde,

mir ist danach, meine Gedanken zur gegenwärtigen Situation auch noch auf eine andere, mehr psychologische und subjektive Weise mitzuteilen, in der Hoffnung, dadurch gemeinsames Nachdenken unserer Profession anzuregen.

Der Corona-Virus hat offensichtlich eine alles vereinnahmende sozialpsychologische Wirkung. Die Menschen scheinen sich mit nichts anderem zu beschäftigen.

Fragen:

-Könnte es sein, daß neben der realen materiellen Gefahr, die von diesem Virus ausgeht, es auch eine mentale Gefahr gibt, die mit diesem Virus in Verbindung zu sehen ist ?

– Könnte es ein, daß dieser Virus, der wahrscheinlich von einem chinesischen Markt, auf dem auch Wildtiere verkauft worden sind, herkommt, sich hervorragend als Projektionsfläche eignet. Der Virus ist unbekannt, neu, unerforscht, extrem schnell sich verbreitend, stammt möglicherweise von einer Fledermaus (die Dracula-These), ist unheimlich, unkontrollierbar.

– Gerade weil der Corona-Virus (wie übrigens jeder Virus mutiert auch der Corona-Virus, das ist die Lebensbedingung für Viren) so unspezifisch und unberechnebar  zu sein scheint, eignet er sich als Projektionsträger für viele Ängste:

  • paranoide Ängste : Die Natur schlägt zurück, weil der Mensch die Natur mißachtet und mißbraucht hat; und die Natur verfolgt und bestraft uns jetzt dafür. (In der „pathologischen“ Verarbeitung der Weltzerstörung, die wir Menschen betreiben und die zu einer Selbstzerstörung der Menschen führen kann, wird der Zusammenhang verkannt und als Bestrafung phantasiert; die Natur bestraft aber nicht, denn die Natur hat keine Absicht und keinen Willen, die Natur evolutioniert sich einfach weiter, auch wenn die Menschen verschwunden sein sollten – das wird der Natur egal sein – falls sie ein Gefühl haben sollte).
  • depressive Ängste ( Wir Menschen sind schuld an unserem Unglück)
  • hysterische Ängste ( die werden ja  von morgens bis abends auf allen Kanälen der Medien  bedient)
  • zwangsneurotische Ängste ( die Menschen schließen sich selbst ein, kommen mit Handschuhen und fassen keine Türklinken mehr an, obwohl Schmierinfektion so gut wie unmöglich ist) (und kaufen wie verrückt Toilettenpapier !)
  • schizoide Ängste ( werden jetzt von den Notwendigkeiten des social distancing bedient)
  • Katastrophenängsten ( Klimawandel, Handelskrieg, Untergangsphantasien aller Art: die Menschheit am Ende aller Zeiten)
  • Kontrollverlustängste, hypochondrische Ängste, Selbstverlustängste
  • Verzweiflung und Verlassenheitsgefühle, weil es in unserer Gesellschaft keine Solidarität mehr gab, die jetzt in einem überkompensatorischen Reflex beschworen wird: plötzlich nehmen angeblich alle Rücksicht auf die Vorerkrankten, Schwachen und Alten – nachdem wir seit Jahrzehnten die Schwachen und Kranken und Alten vernachlässigt haben und in Heime angeschoben haben, weil dieses gesellschaftliche System familiären Zusammenhalt nicht mehr gebrauchen kann
  • Und natürlich steigen die Impuls- und Aggressionsdurchbrüche, weil die üblichen Abwehrmechanismen nicht mehr so ohne weiteres möglich sind.

–  mir kommt es so vor, als ob dieser Virus und unserer gesellschaftlicher Umgang damit wie ein Ventil wirkt für verschüttete und verdrängte Ängste, die tief eingegraben und eingeschrieben sind in die Psyche des modernen Menschen. Ich meine, daß wir mit der jungschen Idee des kollektiven Unbewußten eine Möglichkeit haben, kollektive Prozesse ansatzweise zu denken. Die Frage, die sich mir da immer wieder stellt, ist allerdings, ob wir die Dynamik der individuellen Seele auf die Dynamik der kollektive n Seele einfach bzw. 1 zu 1 übertragen können. Ich glaube, daß das nicht so geht und daß Wandlungsprozesse individuell anderes ablaufen als kollektive Wandlungsprozesse.

– Könnten wir nicht auch mal Folgendes bedenken: jahrzehntelang wurde in allen gesundheits- und sozialpolitischen Bereichen gespart und privatisiert, es sind unzählige Krankenhäuser geschlossen worden und nun sollten Hotelbetten als Ersatzkrankenhäuer umfunktioniert werden. In Italien hat dieser Abbauprozeß der Infrastruktur sogar noch ganze andere Dimensionen ( Ich erinnere nur an die zusammengebrochene  Brücke in Genua ). Dieser Sozialabbau unterminiert  mein Vertrauen in diese Wirtschaftspolitik, in dieses kapitalistische System und auch in Politiker, die jetzt als Gesundheitsgeneralfeldmarschall u.ä. auftreten. Mir scheint, daß dieses System nicht in der Lage ist, mit den Herausforderungen, vor denen die Menschen stehen, vernünftig und voraussehend umzugehen. Ich kann die Sorge vieler verantwortlicher Politiker, die sie zur Zeit vorgeben, auch nur noch schwer ernst nehmen, nachdem sie jahrzehntelang dem Ausverkauf des Subsidiaritätsprinzip so massiv zugestimmt haben.

– Man vergleiche bitte jetzt die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten, die jetzt gehen, aber beim Klimawandelproblem nicht gehen. Es hieß: die schwarze Null muß stehen. Das ist jetzt offensichtlich nicht mehr zwingendes Gebot. Die junge Generation, die um die Zukunft dieser bewohnbaren Erde ringt, wurde mit diesem Pseudoargument abgespeist.  Oder: 3000 Tote auf den Autobahnen führen nicht dazu, die Geschwindigkeit zu begrenzen, geschweige denn, die Autobahnen zu schließen. Aber 300 Tote bringen das Land zum Stillstand. Diese Widersprüche sind nur noch schwer zusammen zu denken. Ich meine, hier eine Irrationalität wahrzunehmen, für die die geeigneten Worte zur Beschreibung mir noch fehlen.

Kollegiale Grüße, und bleiben Sie  alle halbwegs gesund !

Thomas Schwind

P.S.

Ich finde diese Einrichtung dieses Blogs sehr gut. Vielen Dank für diese Diskussions-möglichkeit. Die C.G.Jung-Gesellschaft Köln ist gerade auch dabei , ein ähnliches Forum für ihre Mitglieder und Freunde einzurichten.

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