Über eine Telefonstunde

von Constanze Krauß, Berlin.

Die Coronakrise hat mich als Ausbildungskandidatin mit der stellenweisen Verunmöglichung der Fortsetzung der Sitzungen im Praxisraum völlig unvorbereitet getroffen. Aus Ermangelung an einer entsprechenden technischen Ausrüstung für Videositzungen sah ich zunächst keine andere Möglichkeit, als auf das Telefon umzusteigen. Schließlich wollte ich meine Patienten in dieser aufwühlenden, ängstigenden und ohnehin isolierenden Zeit nicht allein lassen, sondern als zuverlässiges Objekt zur Verfügung stehen.

Mit dem Telefon entsteht einerseits eine große Nähe, andererseits eine große Distanz. Da ich die Aufforderung „Bleiben Sie zu Hause“ ernst genommen habe und also wirklich in meinem Zuhause geblieben bin, fühlt sich der eingehende Anruf des Patienten zunächst an wie ein Einbruch in meinen privaten Raum, in mein Wohnzimmer, wo alle meine persönlichen Dinge sind, was in mir zunächst einen Widerstand auslöst. Ich gehe natürlich trotzdem ran, sage: „Ja, hallo.“ Schon diese Eingangssituation der Stunde hat etwas Absurdes. Normalerweise stehen der Patient und ich uns gegenüber, wenn es klingelt und ich die Tür öffne, und können uns so unmittelbar gegenseitig erkennen. Nun antwortet der Patient am Hörer: „Ja, Frau Krauß, ich bin´s Herr Soundso.“ Natürlich weiß ich, dass es Herr Soundso ist, der zur vereinbarten Zeit anruft, und trotzdem muss dies offenbar zuerst von beiden sichergestellt werden – dass jeder weiß, wer der Andere ist.

Dann kommt es nun häufiger vor, dass die Patienten zunächst beschreiben, wo sie sich aufhalten. „Ich bin in meinem Schlafzimmer. Ich liege jetzt im Bett statt auf der Couch.“ Wieder ergreift mich ein peinliches Gefühl, wie als das Telefon klingelte. Es ist mir gar nicht so recht, dass ich jetzt mit in das Bett des Patienten genommen werde. Es ist mir zu privat, nachdem er in meinem Wohnzimmer aufgetaucht ist nun ein Einbruch in seine Privatsphäre. So kommt es vor, dass einerseits Grenzen der Abstinenz überschritten werden. Für gewöhnlich reden wir vielleicht darüber, was im Bett des Patienten passiert. Aber wir halten uns dort nicht auf. Gleichzeitig sind wir räumlich so voneinander getrennt, dass ein tatsächliches Agieren, ein Verfallen vom „Reden über“ in ein tatsächliches konkretes „Handeln“ unmöglich ist, und deswegen vielleicht Hemmungen, die es sonst gibt, nun überflüssig werden.

Nach Beenden der Stunde stelle ich mir vor, wie der Patient jetzt einfach aufsteht und nach nebenan geht, wo seine Familie gerade am Frühstückstisch sitzt. Ich stelle mir vor, dass sie ihn ansehen, weil sie neugierig sind, wie seine Sitzung war. Ich stelle mir vor, dass sie ihn fragen, worüber wir geredet haben, und dass damit auch die Gefahr besteht, dass dem Patienten etwas genommen wird, nämlich ein Erfahrungsraum, der sonst sicher durch den Praxisraum an sich wie auch durch den Weg zur Praxis hin und zurück ein Raum ist, in dem er ungestört und geschützt vor der Welt da draußen über sich nachdenken und fantasieren kann.

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