von Dieter Treu, Berlin.
Für die psychoanalytische Gilde, die zumindest in Teilen große Stücke darauf hält, seit einem Jahrhundert mit derselben Konfiguration – zusammen in einem Raum sein, Collegeblock, Füller, Gegenübertragung – in Verbindung gebracht zu werden, ist der rasche Wechsel zur Videotherapiestunde kein kleines Transformationsprojekt.
Worauf berufen wir uns da? In den neun Jahren meiner Ausbildung habe ich über die Ausweichmöglichkeiten ins Netz sowohl seminaristisch wie auch praktisch eigentlich nichts erfahren.
Aber nicht vorrangig deswegen habe ich mich für meinen Teil in der aufkommenden Corona-Pandemie erstmal auf das Festnetztelefon als Plan B zu den jetzt entfallenden persönlichen Stunden festgelegt. Zu vermuten war über mich als Techniknostalgiker schon länger, dass ich im Notfall am ehesten zum Telefon greifen würde.
Denn nicht nur erscheint mir das Telefon als genügend geeignetes Medium zur Herstellung eines „guten Ortes“ (der gerade durch seine Andersartigkeit gar nicht vortäuschen kann oder will, die Begegnung im Therapieraum zu ersetzen). Auch auf einer technischen Ebene halte ich das Telefon schlichtweg für leitungssicherer, und damit bewährt es sich als ein schnell hintergründig werdendes Organon-Obstaculum der Sitzungschoreographie.
Den Aspekten von Leitungssicherheit und der deutlichen Akustik an meinem Telefon als technischen Details steht eine mehrfache Selbstbeobachtung entgegen, aus den ersten beiden Wochen mit Telefonsitzungen: Am einen Ohr mein schnurloses Telefon, im anderen Ohr steckt mein Finger – als müsste ich mich vor Verkehrslärm oder anderen Gesprächen im Raum abschirmen. Mich erinnert das an jene Szenen aus geliebten Maigret-Romanen, in denen der Kommissar zu wichtigen Telefonaten gerufen wird, sich dort aber unvermittelt eine Telefondame einschaltet, die die Leitung nach Paris zu trennen droht.
Der Weg von der Akustik zum Verstehen, er erscheint mir am Telefon störbarer. Auch bei klarster Akustik bleibt das mulmige Gefühl, der ‚Draht‘ kann reißen.
Wahrscheinlich kann man das heute schon ein bisschen konservativ nennen: eine mit meinen Wohnräumen verbunden bleibende Nummer. Ich glaube dennoch, zumindest nach den Erfahrungen der ersten beiden Wochen: Dieses einigermaßen kontinuierliche Raum-Zeit-Gefüge des Festnetztelefonierens (vielleicht ist es auch das Wort?) hilft dem therapeutischen Paar, sich in dieser neuen Realität, in der das Außen kein per se ‚guter Ort‘ mehr ist, zu erden.
Irdisch, nicht exterritorial. Therapeut und Patient bewegen sich nicht irgendwo im Netz, wenn sie am Festnetz hängen. Die Festnetznummern verweisen auf die Beständigkeit zweier Innenräume, auf zwei Orte in der Welt – und deren Abstand zueinander. (Günther Anders spricht von den ‚weglosen‘ Bildern neuer Medien).
Die Bildlosigkeit des Telefons vertröstet die Patienten und mich nicht. Recht schnell wird klar, dass wir jetzt miteinander an der realen, der imaginativen und schließlich der sprachlichen Front zu arbeiten haben, um wieder zutreffende Bilder voneinander zu gewinnen.
Ich kenne die Hintergründe nicht genau, aber falls die Videotherapiestunde im Kassenverfahren gegenwärtig den Vorzug vor der Telefonstunde erhält, weil die Beteiligten sich hier auf breiterer Sinnes- und ‚Datenbasis‘ begegnen, würde ich dieser doch technischen Sichtweise entgegenhalten, dass ich persönlich das Telefon für das ‚ehrlichere‘ Medium erachte.
Mit und in ihm werden die Improvisation und der Ersatz deutlich. Die Zweitbeste Fahrt, die jetzt nur möglich scheint. Das Telefon als technische Brücke der Therapie macht die Notlösung und die Krise als solche erlebbar, die unsere Gegenwart charakterisieren.
Im Mangel des Telefonierens vermisse und spüre ich, was mir als Therapeut noch vor zwei Wochen durch den Praxisraum und die leibliche Anwesenheit abgenommen wurde. Ich erlebe, wie immens gesteigert beide Beteiligten nun in der Fähigkeit zur Herstellung von Bezogenheit gefragt sind.
Gegenübertragung, Collegeblock und Füller – jetzt von zu Hause aus, am Telefon. Und dieser Verzicht, er ist doch irgendwie auch wieder analytisch, oder?
Lieber Dieter,
stimme Dir aus vollem Herzen zu. Telefongespräche sind näher, bezogener, es kommt mehr Atmosphäre auf. So erlebe ich es. Leider sind sie schlichtweg verboten und dürf(t)en nicht abrechnet werden. Also mache ich nur „Videosprechstunde“…
Und leider habe ich auch kein Festnetz mehr, nirgendwo, somit fahre ich in meine Praxis, um mich zu erden und sitze hier allein am PC.
Traurig das alles.
Liebe Grüsse
Volker
Lieber Herr Treu,
ich behandle fast nur über Festnetz, also an der „sprachlichen Front“ , ich frage die Pat., welchen Weg sie wollen. Alle entscheiden sich für das Telefon. Einen Aspekt finde ich interessant: Man ist mit dem Telefon näher an den Patientn dran und sie in mir; ihre Stimme dringt dirkt in meinen Kopf, das finde ich manchmal zu eindringend. (deswegen rufe ich in der Regel Pat. auch nie an, sondern maile. Ich arbeite jetzt nur noch mit Lautstellung, lege den Hörer hin, die Pat. meistens auch. Das gibt meher Abstand, geht sehr gut und ist sehr ergibig. Vieleicht ist es auch deswegen einfacher, da praktisch alle meine Pat. auf der Couch liegen.
Herzliche Grüße
Gustav Bovensiepen